Winglets und Sharklets: Eine Inspiration aus der Natur
17.09.2020
Ziel der Bionik (BIOlogie + TechNIK) ist die Lösung von technischen Problemen und umfasst die Analyse biologischer Systeme, die Ableitung daraus resultierender Erkenntnisse und die Anwendung dieser in technische Lösungen. Zahlreiche technische Entwicklungen gehen auf die Inspiration durch die Natur zurück. Zu den bekanntesten Entwicklungen aus der Aerodynamik zählen Winglets bzw. Sharklets an Flugzeugtragflächen.
Ölkrise
Infolge der Ölkrise in den frühen 1970er Jahren, als die Preise für Flugbenzin stiegen, suchten Fluggesellschaften und Flugzeughersteller nach Möglichkeiten, um die Betriebseffizienz von Flugzeugen zu verbessern.
Winglets & Sharklets
Zahlreiche Ansätze zur Lösung dieses Preisproblems lieferten revolutionäre aerodynamische Konzepte, u.a. Winglets.
Winglets bzw. Sharklets sind nach oben oder unten gebogene Verlängerungen an den Flügelspitzen. Obwohl sie mehr Gewicht und Widerstand verursachen, verbessern sie die Umweltleistung eines Flugzeugs, indem sie den infolge des Auftriebs entstehenden induzierten Luftwiderstand verringern und somit den Treibstoffverbrauch minimieren.
Aerodynamischer Auftrieb
Damit ein Flugzeug abhebt, muss der Auftrieb - Luft trifft mit einer Anströmgeschwindigkeit auf eine Tragfläche - groß genug sein, um die Schwerkraft zu überwinden. Die spezielle Form des Profils der Tragflächen sorgt dafür, dass die Luft an der Oberseite des Profils schneller als an der Unterseite strömt. Dadurch entsteht an der Unterseite der Tragfläche ein höherer Druck als an der Oberseite (Bernoullische Gleichung). Die resultierende Kraft dieser Druckverteilung bildet den Auftrieb.
Induzierter Widerstand: Randwirbel und Wirbelschleppen
Als unvermeidbare Konsequenz des Auftriebs erzeugt jedes Flugzeug hinter seinen Tragflächen rotierende und langlebige Wirbel – so genannte Randwirbel bzw. Wirbelschleppen. An Flügelenden kommt es zu einer weitgehend ungehinderten Umströmung der Flügelspitzen, weil ein entsprechender Druckunterschied vorhanden ist. Es entsteht ein Wirbel an jeder der beiden Flügelspitzen. Diese gegenläufigen Randwirbel erzeugen keinen Auftrieb, benötigen jedoch Energie, die sich als induzierter Luftwiderstand auswirkt. Infolgedessen steigt der Gesamtwiderstand des Flugzeuges an.
Staffelungsmatrix der International Civil Aviation Organisation (ICAO)
Neben dem Problem der Energieeffizienz stellen Randwirbel oder Wirbelschleppen ein weiteres Problem dar:
Vor allem bei Start und Landung können kleinere Flugzeuge in das Wirbelfeld von größeren geraten. Da Wirbelschleppen nicht sofort zerfallen und sich lange über dem Boden halten können, wurden Abstände zwischen den Flugzeugen, die auf einer Piste starten oder landen wollen, definiert. Je nach Gewichtskategorie müssen diese verschiedene Abstände halten. Das ist die sogenannte ICAO-Staffelungsmatrix. Wartezeiten, die dadurch entstehen, sind besonders auf hochfrequentierten Flughäfen problematisch.
Streckung der Tragflächen
Einen Lösungsansatz stellt die Streckung Λ der Tragflächen dar, da so Randwirbel und somit der induzierte Luftwiderstand verringert werden. Λ ist eine dimensionslose Kennzahl für die Schlankheit einer Tragfläche und definiert das Verhältnis der Spannweite b zur mittleren Tragflügeltiefe t:
Λ = b/t
b… Spannweite
t… mittlere Tragflügeltiefe
Doch die Streckung hat einen Nachteil: Unter den stark gestreckten Flügeln leiden sowohl die Stabilität der Tragflächen als auch die Manövrierbarkeit des Flugzeuges. Auch der zusätzlich benötigte Platz würde viele Flughäfen bzw. Airlines vor weitere Herausforderungen stellen. Die Natur zeigt, wie es trotzdem gehen kann.
Vorbild Natur: Flügelaufspreitzung von Vögeln
Untersuchungen zeigen, dass Vogelflügel keine ausgeprägten Randwirbel aufweisen. Vielmehr wird hinter den Vogelflügeln ein verhältnismäßig großer Nachstrom in langsame Drehung versetzt, welcher bereits nach einer Entfernung von wenigen Flügeltiefen fast völlig verschwindet. Große Landvögel, wie Adler, Geier oder Storch, spreizen im Flug ihre aufgefingerten Handschwingen und verringern so die Ausgleichsströmung zwischen Unter- und Oberseite um die Flügelspitzen herum.
Statt nur einem Wirbel je Flügelspitze werden bei aufgespreizten Handschwingen mehrere kleine Wirbel erzeugt, die sich an bestimmten Stellen auslöschen, sodass das Wirbelsystem weniger Energie verbraucht und somit der induzierte Widerstand vermindert wird. Diese Einstellung erfolgt passiv und automatisch.
Seevögel, wie Albatross, Tölpel oder Schwan, besitzen dagegen schmale, spitzlaufende, eher nach rückwärts gepfeilte Flügelenden und reduzieren so den induzierten Strömungswiderstand.
Das Prinzip
Wenn sich die Wirkung von Handschwingenkaskaden nur bei einer bestimmten Optimaleinstellung entfaltet, sollte eben diese Konfiguration evolutionsstrategisch modellierbar sein.
Die Technik
Im Windkanal wurde ein dem Storchenflügel ähnlicher Flügel mit verstellbaren Endflügelchen evolutionsstrategisch untersucht, dessen Einstellparameter verändert werden konnten. Zielsetzung war das Erlangen einer möglichst kleinen Gleitzahl ε =cW/cA*.
Es ergab sich eine den Handschwingen ähnliche Konfiguration, welche die Gleitzahl um 11 % verbesserte.
*cA …. Auftriebsbeiwert
cW … Widerstandsbeiwert
ε … Kennzahl für die aerodynamische Güte eines Flugzeugs
Das Produkt: Winglets & Sharklets
Betrachtungen der Widerstandsverhältnisse an Vogelflügeln standen somit an der Basis der Entwicklung von Flügelendengestaltungen in Form von Winglets bzw. Sharklets, wie sie für heutige Verkehrsflugzeuge immer häufiger zur Reduktion des Gesamtwiderstandes und somit zur Treibstoffreduktion eingesetzt werden.